Eine überraschende E-Mail
„Srebrenica Kunstwerk der Gemeinde Haar“
Lautete der Betreff einer E-Mail die ich vor Kurzem im Posteingang meines Laptops fand.
Das war überraschend. Wollte die Gemeinde Haar, die diese Skulptur vor Jahren gekauft hatte, etwas von mir?
Wie ich schnell feststellte, war dies nicht der Fall.
Zwar kam das E-Mail aus Haar, aber nicht von der Gemeindeverwaltung, sondern von einem Gemeindebürger, einem muslimischen Bosnier, der selbst im Bosnien Krieg, wenn auch nicht in Srebrenica, Angehörige verloren hat.
In seiner neuen Heimat ein Kunstwerk zu finden, welches an die Opfer des Krieges erinnert, hatte ihn zutiefst bewegt.
Aber bevor ich hier weiter erzähle, ist es wahrscheinlich sinnvoll, etwas ausführlicher über die Entstehungsgeschichte dieser Skulptur zu erzählen.
Zwischen 1992 und !995 tobte in Bosnien und Herzegowina in Folge der Unabhängigkeitserklärung von Jugoslawien ein blutiger Bürgerkrieg.
Im Zuge dieses brutalen Krieges wurde von serbisch-bosnischen Milizen der Ort Srebrenica belagert, obwohl dieser von den Vereinten Nationen zur Schutzzone für die muslimisch bosnische Zivilbevölkerung erklärt worden war.
Auf diese unerträgliche Situation und auf das Grauen des Krieges allgemein, wollte ich mit künstlerischen Mitteln hinweisen, als ich, während eines Symposiums in Italien 1993, meine Skulptur oder genauer gesagt, die erste Version dieser Skulptur schuf.
Ich nannte die Skulptur auf italienisch „Assedio – Belagerung“ weil der Belagerung von Srebrenica bereits andere brutale Belagerungen, beispielsweise die von Sarajevo, vorausgegangen waren, auf die ich ebenfalls hinweisen wollte.
Für mich war es nur schwer erträglich, von diesem Krieg jeden Tag in Zeitungen zu lesen und im Fernsehen zu sehen, ohne etwas dagegen tun zu können.
Auf irgendeine Weise wollte ich zumindest sagen: „Schaut hin und tut endlich etwas!“
Die Skulptur die ich auf dem Symposium zustande brachte, war zwar durchaus beeindruckend und brachte mir eine besondere Erwähnung der Jury ein.
Aber der sehr weiche und für meinen Geschmack für diese Skulptur auch etwas zu schöne Kalkstein, den ich dafür zur Verfügung hatte, befriedigte mich nicht wirklich.
Einer der Bildhauerkollegen auf dem Symposium, der Österreicher Christian Feierle, wiederholte uns anderen Teilnehmern gegenüber immer wieder seine Überzeugung, dass Granit, mit dem er normalerweise arbeitete, der „einzig ehrliche Stein sei“, weil nur er den Bildhauer wirklich fordere.
Das brachte mich auf die Idee, die Skulptur noch einmal, diesmal aus Granit und noch etwas größer zu machen, eine echte Herausforderung also.
Eine Gelegenheit dazu bot sich, noch im selben Jahr, bei der Ausstellung Sculptura in Kevelaer.
Für die Ausstellungsteilnahme, wenn man denn von der Jury ausgewählt wurde, gab es ein Honorar, - nicht berauschend aber ausreichend um damit einen großen Block aus Norit* zu finanzieren.
Ich bewarb mich mit einem Modell der Skulptur, wurde von der Jury angenommen und bestellte den Steinblock.
Die Geschichte wie der Block dann zu mir kam und welche Schwierigkeiten ich damit zu bewältigen hatte, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Darüber schreibe ich ein andermal.
Nachdem ich die Skulptur fertig gestellt hatte, wurde sie nach Kevelaer transportiert und dort für eineinhalb Jahre ausgestellt.
Danach stellte sich mir die Frage, wohin mit der Skulptur.
Immerhin wog das Ding über vier Tonnen. Ein Aufstellen im Vorgarten meines Elternhauses beispielsweise wäre ziemlich schwer geworden.
Da kam mir der Zufall oder, wenn man so will, eine glückliche Fügung zu Hilfe.
Zu dieser Zeit unterrichtete ich an der Volkshochschule Haar Modellieren und Steinbildhauen und kurz nachdem die Ausstellung in Kevelaer zu Ende ging, wollte diese eine Ausstellung aller Kursleiter der Kreativkurse veranstalten.
Ich bot also an, meine Skulptur in Haar, während der Ausstellung und im Anschluss daran, als Dauerleihgabe aufzustellen.
Volkshochschule und Gemeinde waren einverstanden und so landete die Skulptur kurz darauf im gemeindlichen Bauhof, wo man das nötige Gerät hatte, um sie problemlos abzuladen und weiter zu transportieren.
Mit dem damaligem Bürgermeister, Herrn Dworzak und Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung suchten wir dann nach einem Standort für die Skulptur.
Im Wesentlichen standen zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Zum einen der jetzige Standort an der Gabelung eines Radwegs, zum anderen der Eingangsbereich des Waldfriedhofs.
Letztlich entschied ich mich für den Standort am Radweg, weil der Standort am Waldfriedhof aus meiner Sicht zwar ästhetisch schön, aber für die bittere Aussage der Skulptur für meinen Geschmack eben zu schön war.
Der damals etwas weniger ansprechende Platz am Radweg, umrahmt von hohen Zäunen der angrenzenden Industriegebiete (die mich fast an Gefängnis oder Lagerzäune erinnerten) schien mir geeigneter, um die Aussage zu verstärken.
So fand die Skulptur also dort ihren Platz und wurde einige Jahre später von der Gemeinde erworben.
Damit war für mich diese Sache erst einmal abgeschlossen.
Bis ich die am Anfang meiner Geschichte erwähnte E-Mail bekam.
Der Mann der mir schrieb, wie gesagt ein islamischer Bosnier, lebte schon länger in Haar, hatte aber erst vor Kurzem die Skulptur entdeckt.
Er schrieb mir, dass er seitdem intensiv damit beschäftigt sei, die Skulptur möglichst vielen Mitgliedern der bosnischen Gemeinde zu zeigen.
Sein Wunsch war, sie mit einer Feier richtig offiziell, gewissermaßen als Gedenkort, einzuweihen.
Er fragte mich auch ob ich damit einverstanden sei, dass neben der Skulptur eine Informationstafel aufgestellt würde und ob ich gegebenenfalls einen Text dazu schreiben könne.
Außerdem sollte der Standort der Skulptur schöner gestaltet und in die Skulptur die Zahl 8372 und/oder die Srebrenicablume graviert werden.
8372 ist die Zahl der bisher bekannten Ermordeten von Srebrenica, eine Zahl die den meisten Menschen in Deutschland heute wahrscheinlich nicht mehr viel sagt, die aber jeder Bosniak kennt.
Die Srebrenicablume ist ein Symbol zum Gedenken an das Massaker. Während die 11 Blütenblätter an den 11. Juli 1995, den Beginn des Massakers erinnern, symbolisiert die Farbe Weiß die Unschuld der Ermordeten während die grüne Farbe in der Mitte für das Erwachen der Hoffnung für alle Menschen auf dieser Welt steht.
Natürlich rannte er bei mir offene Türen ein.
Wenn dieser Ort jetzt zu einem Gedenkort weiter entwickelt und umgestaltet werden soll, ergibt sich daraus natürlich eine Änderung der ursprünglichen Aussage.
Ich kann aber gut verstehen, dass die Menschen, denen im Bosnienkrieg so viel Leid angetan wurde, sich für ihr Gedenken einen würdigen, auch ästhetisch ansprechenden Ort wünschen.
Dem möchte ich auf keinen Fall im Wege stehen und bin schon gespannt, wie sich diese Sache weiter entwickelt.
*Norit ist ein magmatisches Tiefengestein aus Südafrika, so hart wie Granit aber ohne Quarz (was bedeutet, dass man beim Arbeiten damit keine Staublunge riskiert)